Lade...
 

Das Wesen der Mediation

Wissensmanagement » Diese Seite gehört zum Fachbuch Mediation in der Wiki-Abteilung Wissen. Sie befinden sich auf der Seite Verfahrenskriterien, die eine Unterseite zum Kapitel Mediationsverständnis im Abschnitt Mediation des Fachbuchs Mediation darstellt und dem folgende Kapitel zugeordnet sind:

Verständnis Wesen Gedanken Eigenschaften Systemik Konstrukt Selbstregulierung Identifikation

Worauf es ankommt: Die Frage, was eine Mediation ist, sollte mit der Einführung des Mediationsgesetzes geklärt sein. Die Praxis belegt jedoch, dass der Schein trügt. Die gesetzliche Definition wirft Fragen auf, die letztlich nur über das Verständnis der Mediation zu beantworten sind. Das Mediationsverständnis geht auf den Inbegriff der Mediation ein, der wiederum ausschlaggebend ist für ihren Verfahrencharakter. Genau darum geht es hier, wenn nach dem Wesen der Mediation gefragt wird.

Einführung und Inhalt: Die grundlegende Frage, die sich allen Mediatorinnen und Mediatoren stellt, lautet: „Ist das was ich hier mache schon oder ist es noch eine Mediation?". Die Frage ist aus der wissenschaftlichen Herleitung der Mediation zu beantworten.1 Einprägsamer und praxisnäher ist es jedoch, wenn auf die Prägungen abgestellt wird, die das Mediationsverständnis im Verfahren hinterlässt. Mit der Prägung gerät der Verfahrenscharakter in den Mittelpunkt der Betrachtungen, der das Wesen der Mediation herausstellt.

Der Verfahrenscharakter

Bereits die Ausführungen zur Verfahrenssystematik haben gezeigt, dass der Verfahrenscharakter ein ausschlaggebendes Kriterium ist, um die Verfahren gegeneinander abzugrenzen. Die Identifikation des Verfahrenscharakters trägt darüber hinaus zum besseren Verständnis bei, wozu die Mediation in der Lage ist und wodurch sie sich auszeichnet. Erkundigen Sie sich bitte im Beitrag Mediationsverständnis über den Zusammenhang von Definitionsmerkmalen, Eigenschaften und der Bedeutung der Mediation.

Das (Selbst-)Verständnis der Mediation

Wiki to Yes unterscheidet zwischen dem grundlegenden Mediationsverständnis, dem sich daraus ergebenden Verfahrenscharakter und den sich in den Konzepten wiederspiegelnden Ausprägungen.

Die unterschiedlichen Konzepte der Mediation

Das Herausarbeiten des Verfahrenscharakters hat eine grundlegende Bedeutung zur Identifikation der Mediation. Jede Klassifizierung muss sich an ihr ausrichten. Es ist also der erste Schritt, um die Mediation als das zu verstehen, was sie ist. Das Wort Charakter kommt übrigens aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie "Prägung bzw. Merkmal". Jeder Mensch hat einen eigenen Wesensgebot; die Mediation auch!

Die aus dem Verfahrenscharakter abzuleitende Wesenshaftigkeit der Mediation hat durchaus auch eine juristische Bedeutung. Abgesehen davon, dass sie eine Auslegungsrichtlinie vorgibt, ermöglicht sie eine korrekte Verfahrensabgrenzung.2 Sie eröffnet einen Zugang zur Qualitätsbestimmung, zur Identifikation der Herangehensweisen, der Kunstregeln und der Pflichten. Schließlich bildet sie auch einen Maßstab bei der Beurteilung von Haftungsfragen.

 Merke:
Leitsatz 14082 - Der Charakter der Mediation verwirklicht sich in ihrem Wesen. Mithin kommt dem Wesen der Mediation in der systematischen Erfassung der unterschiedlichen Erscheinungsformen der Mediation eine zentrale Bedeutung zu. Alle zur systematischen Erfassung der Mediationen herausgebildeten Klassen müssen sich an ihrem Wesen orientieren, damit sie als eine Mediation gelten können.

Das Wesen der Mediation

Es gibt einige grundlegende und markante Wesensmerkmale, durch die sich die Mediation auszeichnet. Roland Breinlinger beispielsweise sagte einmal:

Die Mediation ist wie ein Schachspiel. Es gibt nur wenig Regeln aber in ihrer Interaktion bedingen sie ein komplexes Miteinander


Auf eine Formel3 gebracht könnte man sagen: Die Mediation ist so komplex wie Schach. Obwohl es wie dort nur wenige Regeln4 gibt, gibt es eine Unzahl von Optionen, die miteinander in Einklang zu bringen sind. Mithin ist die Komplexität ein erstes Charaktermerkmal. Auch eine Erkenntnis von Albert Einstein deutet auf ein wichtiges Merkmal der Mediation hin. Einstein sagte:

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.


Nach Einstein muss also die Denkweise geändert werden, wenn ein Problem gelöst werden soll. Auch Watzlawick weist in beeindruckender Weise darauf hin, wie das Denken den Menschen daran hindert, die Lösung vom Problem zu befreien und nicht in der Lösung weiterleben zu lassen.5 Die Mediation erfüllt diese Anforderung, denn sie führt aus dem Streit heraus statt in den Streit hinein. Die Lösung entsteht nicht aus Argumenten, sondern aus dem vollständig abgestimmten Verstehen aller Umstände und Aspekte des Falles, die am zukünftigen Nutzen ausgerichtet werden. Es geht darum, eine Lösung zu FINDEN. Die Mediation dient NICHT dazu, eine Position durchzusetzen. Mediation ist kein Streiten mit netten Worten. Sie ist eine intensive Auseinandersetzung in einem Klärungsprozess. Der Blick ist in die Zukunft gerichtet, mit der die Vergangenheit zu überwinden ist. Das erforderliche Einvernehmen ergibt sich aus der Verstehensvermittlung.

Dass es an der Zeit ist, umzudenken, wird häufig gefordert. Ein Umdenken ist notwendig. Es ist aber nicht unbedingt erwünscht. Das laterale und divergente Denken stellt in Frage. Es lenkt ab und verkompliziert die Entscheidungen. So stellt es sich den Hardlinern wenigstens dar. Es ist auch nicht immer nachvollziehbar, wenn es am herkömmlichen, problemzentrierten Denken gemessen wird. Gerade aber, wenn die Mediation an diesem Denken gemessen wird, fällt auf, dass die Mediation besonders in den unlösbar scheinenden Fällen brauchbare Lösungen erzielen kann. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Einer der Gründe besteht darin, dass sie ein anderes Denken (Herangehen an Problemlösungen) ermöglicht und erfordert. Mit dieser Überlegung kommt ein weiteres, ebenso grundlegendes, wie markantes, Merkmal zum Vorschein:

 Merke:
Leitsatz 12162 - Mediation ist anders!!!

Die Andersartigkeit der Mediation ist ihr Fluch und ihr Segen zugleich. Es ist ein Fluch, weil die Mediation ein anderes Denken einfordert. Die andere Art an Probleme heranzugehen, macht es schwierig, die Mediation nachfragegerecht anzubieten und verständlich zu machen. Es ist ein Segen, weil die Mediation die Einsteinsch'e Weisheit nicht nur ermöglicht, sondern auch für jedermann zugänglich macht. Die Mediation erzwingt nicht nur ein anderes Denken, sie ermöglicht es auch!6

Über das Denken in der Mediation

 Merke:
Leitsatz 3921 - An der Andersartigkeit des Denkens lässt sich erkennen, ob und inwieweit ein Mensch das mediative Denken verinnerlicht hat. Wenn er es verinnerlicht hat, geht er mit Streit, Lösungen, Bewertungen und Argumenten anders um!

Jeder, der mit einer Konfliktbeilegung in Berührung kommt, sollte sich mit der Andersartigkeit der Mediation vertraut machen. Sie bildet den Ausgangspunkt für ein anderes Verfahrensverständnis. Sie ist die Voraussetzung für ein mediatives Vorgehen und zugleich der Garant für ihr Gelingen. Sie wirkt sich nicht nur auf das Verfahren aus, sondern auch auf das Angebotsverhalten, ebenso wie auf die Qualitätskontrolle bis hin zur Honorierung.

Das Wesen als Maßstab

Der Terminus Wesen der Mediation ist im Gesetz nicht explizit erwähnt. Der Begriff wurde von Trossen7 eingeführt, um die Handhabung des Rechts methodisch und systematisch zu strukturieren und um die Mediation besser von anderen Verfahren unterscheiden zu können. Seiner Meinung nach istg die Definition im Gesetz sehr ungenau. Sie stellt die Eigenschaften der Mediation nicht heraus,8 weshalb es auch möglich wäre, eine Schlichtung oder Verhandlung unter diese Definition zu fassen. Zumindest ist die Abgrenzung nicht eindeutig.

Das Wesen einer Sache oder Person ergibt sich aus den Eigenschaften. Bitte überzeugen Sie sich selbst, ob und welche Eigenschaften Sie in der Definition in §1 Mediationsgesetz wiederfinden. Sie werden erkennen, dass die Definition die Eigenschaften der Mediation, wenn überhaupt, nur ungenau herausstellt. Deshalb ist die Wesensbestimmung der Mediation ein wesentlicher Baustein zur korrekten Durchführung der Mediation. Sie erlaubt nicht nur die Unterscheidung zwischen Eigenschaften und Prinzipien, sie fordert die Unterscheidung auch ein. Sie ist nicht nur zum Verständnis der Mediation unerlässlich, sie bewirkt auch eine strukturelle Eindeutigkeit. Die Definition leidet unter folgenden Ungenauigkeiten:

Der logische Bruch in der Mediationsdefinition!
§ 1 Mediationsgesetz definiert die Mediation beispielsweise als ein vertrauliches Verfahren. Angenommen, der Mediator und die Medianden erlauben die Anwesenheit des Fernsehens und damit die öffentliche Übertragung ihrer Mediation. Diese Mediation wäre definitionsgemäß also nicht vertraulich. § 1 Mediationsgesetz wäre nicht anwendbar, wenn man auf den Wortlaut abstellt. Greger1 unterscheidet deshalb für § 1 Mediationsgesetz zwischen essentiellen und typischen Tatbestandsmerkmalen. Die Differenzierung ist notwendig, methodisch jedoch nicht nachvollziehbar.
Der korrelative Zusammenhang der Tatbestandsmerkmale
Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Tatbestandsmerkmale in einem korrelativen Zusammenhang stehen. Die Definition setzt sich aus Eigenschaftsmerkmalen und Prinzipiengebot zusammen, woraus sich eine kausale Verknüpfung ergibt, die zu Interdependenzen führt. Ohne die Qualität der Tatbestandsmerkmale zu unterscheiden, benennt die gesetzliche Definition in § 1 Abs. 1 und 2 sowohl Prinzipien wie auch Eigenschaften als Identifikationsmerkmale.1 Die Mediation erfordert ein offenes Gespräch. Nur in diesem Rahmen lassen sich Interessen aufdecken. Die Vertraulichkeit ist eine Bedingung, die das offene Gespräch ermöglichen soll. Sie wird als eines der Mediationsprinzipien beschrieben. Die Vertraulichkeit wird als eine Bedingung für ein offenes Gespräch gewürdigt. Man geht davon aus, dass ein solches nur im vertraulichen Rahmen möglich ist. Eine öffentlich übertragene Mediation wäre demnach also in den Fällen durchaus eine Mediation, wo die Vertraulichkeit keine kausale Voraussetzung für ein offenes Gespräch darstellt. Das heisst, wenn die Medianden trotz der Fernsehübertragung in der Lage sind, alle Interessen, Bedürfnisse und gegebenenfalls Lösungsansätze offen anzusprechen.
Prinzipien und Eigenschaften als Tatbestandsmerkmale

Die rechtliche Korrelation der Tatbestandsmerkmale lässt sich methodisch konsequent aufdecken, wenn statt zwischen essentiellen und typischen Merkmalen zwischen Eigenschaften und Prinzipien unterschieden wird.

 Merke:
Leitsatz 14079 - Prinzipien haben keinen Selbstzweck. Sie sind gedacht, um die Eigenschaften der Mediation zu verwirklichen

Prinzipien sind Bedingungen zur Umsetzung der Mediation. Sie helfen, die Mediation zu verwirklichen. Mithin sind sie den Eigenschaftsmerkmalen untergeordnet. Jede andere Betrachtung würde dazu führen, dass die Ausführungsbedingungen das Wesen dessen, was sie ausführen sollen verändern könnten. Es kommt zu Zirkelschlüssen.

Zirkelschlüsse vermeiden
Die Gleichstellung von Eigenschaften und Prinzipien ruft Zirkelschlüsse hervor1 . Die Vertraulichkeit ist ein Beispiel. Die Neutralität und Unabhängigkeit ein anderes. Wird die Mediation von einem Mediator durchgeführt, der nicht neutral ist, dann kommt § 1 vom Wortlaut her nicht zum Tragen, weil das Tatbestandsmerkmal der Neutralität nicht gegeben ist. § 3 Abs. 1 Mediationsgesetz, der eine Informationspflicht über die mangelnde Neutralität darstellt, käme erst gar nicht zum Tragen. Ähnlich mag man über das Merkmal der fehlenden Entscheidungsbefugnis denken. Der Gesetzgeber unterwirft die Notarmediation der hoheitlichen Tätigkeit des Notars. Ihm obliegen spätestens bei der Beurkundung des gefundenen Ergebnisses Entscheidungsbefugnisse. Definitionsgemäß dürfte er die Mediation also gar nicht ausführen.
Rechtsquellen korrekt ausrichten

Die Rechtsquellen stehen in einem hierarchischen Verhältnis. Das Mediationsgesetz ist der Verfassung untergeordnet.
Der Gesetzgeber will die Mediation stärken. Was aber ist es das er stärken will? Wie gelingt es ihm, ein flexibles, der Parteiautonomie zu unterwerfendes Vorgehen zu regeln, ohne die Eigenschaften der Mediation dabei in Frage zu stellen? Um diese Frage zu beantworten, muss er wissen, was die Eigenschaften der Mediation sind. Das Gesetz legt dies nicht fest, obwohl spätestens bei Auslegungen genau diese Frage eine zentrale Rolle spielt.

Herleitung der Eigenschaftsmerkmale aus den Prinzipien
Siehe unten: Versuch einer Manifestation


Auf eine Faustformel gebracht erschließt sich die Mediation über die folgende Abgrenzung:

 Merke:
Leitsatz 3272 - Was nicht dem Wesen der Mediation entspricht, ist keine Mediation!

Was genau sind die Eigenschaften der Mediation?

Die herausragenden Merkmale

Bei der Suche nach den wesensbestimmenden Merkmalen fällt die Prozess – und Nutzenorientierung der Mediation ins Auge. Ihr Kern ist die Verstehensvermittlung. Über die Verstehensvermittlung grenzt sie sich von der Schlichtung ab, deren Fokus die Lösungsvermittlung ist. Das aufeinander abgestimmte Verstehen ist die Basis für die parteiseitige Lösungsfindung. Entscheidend ist, dass die Mediation (vertreten durch den Mediator) die Lösung des Problems in den Köpfen der Parteien herbeifüht. Damit Parteien, die zuvor nicht in der Lage waren, selbst eine Lösung zu finden, zur Lösungsfindung befähigt werden, sind sie auf übereinstimmende Einsichten angewiesen. Die aufeinander abgestimmten Erkenntnisgewinne ermöglichen die zur Lösung führenden gedanklichen Schritte. Zugleich fordert sie ein humanistisches Menschenbild ein, das dem Menschen nicht nur die Fähigkeit, sondern auch den zur Selbstverwirklichung führenden Wunsch unterstellt, ein konstruktives Ergebnis herbeizuführen.

Das Menschenbild der und in der Mediation

Die Mediation steuert und erläutert den zur Lösung führenden Erkenntnisprozess. Der Vorgang wird mit der kognitiven Mediationstheorie im einzelnen hergeleitet und beschrieben.

Mediation als Erkenntnisprozess

Erwartet wird, dass sich die Verfahrensbeteiligten auf den Prozess als solchen einlassen und NICHT an Lösungen denken. Die Parteien müssen darauf vertrauen, dass die Mediation sie in die passende Lösung hineinführt. Die Vorgehensweise ist ungewöhnlich, weil sie die Entscheidung über die Lösung zurückgestellt, statt sie vorzugeben. Das macht die Mediation zu einem offenen, für Laien schwer zu durchschauenden Prozess, bei dem die Lösung eine unbekannte Größe darstellt. Anhaltspunkte für den Erkenntnisprozess sind im Einzelnen:

  1. Prozessorientierung
    Üblich ist ein lösungsorientiertes Denken. Prozedural betrachtet steht bei der Mediation die Entwicklung (also der Prozess an und für sich) im Vordergrund, nicht das Ergebnis. Der Mediator weiß, dass sich das Ergebnis aus dem Prozess heraus entwickelt.
  2. Suchmodus
    Auch der Suchmodus entspricht keinem konventionellen Denken, wo Entscheidungen für Lösungen abverlangt werden, die es durchzusetzen gilt. Im Gegensatz dazu stellt die Mediation (auch sich selbst) in Frage. Sie ist deshalb konsequent als ein Suchspiel konzipiert. Das mediative Denken erzwingt keine Lösungen. Es macht sie möglich. Es geht darum, eine (noch bessere, alles berücksichtigende) Lösung zu finden.
  3. Metaperspektive
    Konventionell und naheliegend ist die operative Perspektive, die sich in einer "wenn - dann"- Logik vollendet. Das mediative Denken ist ein freies Denken. Es bewegt sich über die wechselseitig eingenommenen Perspektiven hinaus auf der Meta-Ebene. Diese Ebene hat alles im Blick, sowohl hinsichtlich des Falles, wie hinsichtlich des Verfahrens. Sie ist nicht nur neutral, sondern auch bewertungs- und grenzenfrei. Der Mediator ist - wenn man so will - die personifizierte Metaebene.
  4. Systemik
    Die Mediation bildet ein Mediationssystem aus, das sich vom Streitsystem abgrenzt. Dadurch entzieht sie sich der Operationalität des Konflikts und teilweise auch der Konfliktumwelt, sodass in der Mediation ein ausbalanciertes Verhandlungssystem dargestellt werden kann, das die Eigenverantwortung der Parteien verlangt und unterstützt.
  5. Verantwortungsbewusstsein
    Konventionell wird die Verantwortung beim Anderen gesucht und für diesen bewertet. Im mediativen Denken wird die Veranwtortung abgestimmt. Jeder verantwortet nur, was er kontrollieren kann. Der Mediator denkt nicht in den Köpfen der Anderen und überlässt ihnen die Entscheidung für und über sich selbst. Diese Art des Denkens führt zu einem weiteren Unterschied zu herkömmlichen Verfahren, indem die Parteien letzten Endes immer auf sich selbst gestelllt sind. In dieser Logik sind die Parteien niemals Opfer.
  6. Komplexität
    Das herkömmliche Denken will vereinfachen. Die Juristerei beispielsweise verarbeitet komplexe Problemfälle, indem sie sie auf Sachverhalte und Rechtsfolgen reduziert. Viele Aspekte der Komplexität gehen verloren. Die Mediation hat den Blick auf das Ganze. Wenn sie selektiert, ist sie sich darüber bewusst. Demzufolge ist die Mediation auch keine Rechtsprechung und sollte es auch niemals sein. Ihr Blick geht weiter! In der Mediation wird kein Recht gesprochen. Die gefühlte Gerechtigkeit wird gesucht und nicht verordnet. Sie ist das einzige Verfahrenskonzept, das die gesamte Komplexität eines Falles (Problems oder Fragestellung) aus allen denkbaren Perspektiven beleuchtet und mit allen denkbaren anderen Lösungen vergleicht.
  7. Denken
    Der Umgang mit der Komplexität erlaubt und erfordert es verschiedene Denkmuster und Logiken in ein und dasselbe Verfahren zu integrieren. Die Parteien werden in ein positives, parallele Denken auf gleicher Augenhöhe und die Möglichkeit einer jeden Partei, die Mediation dadurch zu kontrollieren, dass sie den Prozess jederzeit und ohne Angabe von Gründen beenden kann.
  8. Konfliktorientierung
    Das Problem tritt in den Hintergrund. Im Vordergrund steht der Konflikt. Die Mediation versucht eine Konfliktklärung herbeizuführen. Sie unterstützt die Parteien, ihre (konfliktbezogene) Autonomie und Selbstbestimmtheit wiederherzustellen. Sie akzentuiert deren Unterschiedlichkeit und stellt die Bedürfnisse und Interessen der Parteien in den gedanklichen Mittelpunkt. Festgefahrene Konfliktmuster werden aufgelöst. Zur Überwindung wird eine Struktur angeboten und Wechselseitigkeit formuliert9 . Weil sie ein auf den Konflikt (nicht nur auf den Streit) bezogenes, wechselseitiges Verstehen einfordert, das alle Aspekte des Falles und der darin involvierten Personen in Betracht zieht, ist sie viel mehr als nur eine billigere und schnellere Alternative zum Gerichtsverfahren10 .
  9. Nutzenausrichtung
    Im herkömmlichen Denken wird entschieden, um die Auswirkungen im Nachgang zu bewerten. Das mediative Denken legt den Nutzen fest. Die Mediation ist das einzige Verfahren, das den Nutzen als Entscheidungskriterium erarbeitet. Anders als im Recht wird die Lösung bei der Mediation nicht aus einer Rechtsfolge, sondern aus dem zu erwartenden Nutzen abgeleitet. Der Mediator interessiert sich nicht für Argumente, sondern für die Motive hinter den Erwartungen. Sie beschreiben den Nutzen. In der Mediation geschieht nichts, ohne dass der Nutzen (die Motive) bekannt sind.
  10. Zukunftsorientierung
    Die Nutzensausrichtung bedingt eine Zukunftsorientierung. Die Mediation reguliert eine konfliktfreie Welt. Es ist nicht ihre Aufgabe den Streit zu verwalten. Was in der Vergangenheit liegt hat allenfalls deshalb einen Einfluss auf die Mediation, wenn sich daraus Bedingungen ergeben, die die Zukunftsregelung beeinflussen können.
  11. Verstehensorientierung
    Das herkömmliche Denken im Streit legt fest und argumentiert dafür. Man versucht das gegenüber von seiner Meinung zu überzeugen. Die Mediation will nicht überzeugen, sie will verstehen. Gemeint ist ein vollständiges Verstehen, das alle Aspekte in Betracht ziehen kann.
  12. Verstehensvermittlung
    Es genügt nicht, wenn sich die Erkenntnisse nur einer Partei erschließen. Deshalb legt die Mediation großen Wert auf ein abgestimmtes, wechselseitiges Verstehen. Die Aufagbe des Mediators besteht darin, Verstehen zu ermöglichen und das Verstandene den Parteien jeweils durch Vermittlung zugänglich zu machen.
  13. Informationsverarbeitung
    Die zur Lösung führenden Informationen und Erkenntnisse werden von den Partreien verarbeitet. Die Mediation hilft, indem sie den Erkenntnisprozess strukturiert. Der Mediator hilft, indem er hilft, die Informationen mit Hilfe der Dimensionierung korrekt ein- und zuzuordnen.
  14. Augenhöhe
    Im streitigen Gespräch geht es darum, Raum zu gewinnen. Der Sieg erfolgt auf Kosten des Unterlegenen. Die Mediation kennt keinen Sieg im herkömmlichen Sinn. Sie erkennt als Sieg nur die gefundene Lösung. Mithin bedarf es in der Mediation auch keiner Abwehrrechte. Hier behalten die Parteien in jeder Lage des Verfahrens die Kontrolle. Das Prinzip der Freiwilligkeit garantiert Ihnen diese Macht. Das Verhältnis zu den Parteien wird durch eine balancierte Wertschätzung geprägt.
  15. Selbstregulierung
    Korrekt angewendet ist die Mediation ein selbstregulierendes und selbstkontrollierendes System.Die Erfolgekriterien der zu findenden Lösung werden innerhalb des Verfahrens erarbeitet. Wegen des Grundsatzes der Freiwilligkeit sind die Parteien (einschließlich dem Mediator) gehalten, die Verhandlungen so zu führen, dass niemand genötigt wird, das Verfahren abzubrechen.

Herausforderungen

Beim Schach gibt es nur 6 unterschiedliche Figuren, die dementsprechend unterschiedlich zu bewegen sind und einer Hierarchie unterliegen. Das Ziel ist es, den Gegner zu schlagen. Wie viele Zugmöglichkeiten und Spielvarianten daraus folgen, ergibt sich aus der Interaktion der Spieler. Die Anzahl der möglichen Spielstellungen wird auf 2,28 • 1046 geschätzt und erreicht alsbald die Anzahl der Elementarteilchen im Universum.11 Versuche, die Mediation in einem Flussdiagramm darzustellen, wo alle Entscheidungsoptionen vorgegeben werden, sind bisher gescheitert. Die Vielfalt der Optionen macht es schwierig, die Mediation vorauszuplanen und im Checklistenformat über Stereotypen zu lehren.12

Aus dem Verständnis der Mediation heraus ergeben sich unzählige Handlungsoptionen und "Spielvarianten". Das macht es so schwer die Mediation zu regulieren. Der virtuose Mediator findet sich in dieser Komplexität zurecht, indem er sie auf das Wesen der Mediation, ihre Eigenart beziehen kann. Er erkennt darin ein Konzept, wenn nicht sogar eine Philosophie, in der sich Weisheiten verbergen, die sich in einer Geisteshaltung steuerbar verwirklichen lassen und überall zur Geltung kommen (können).13

 Merke:
Leitsatz 3923 - Wer das Denken der Mediation nicht versteht, kann sie nicht wirklich anwenden!

Bedeutung für die Mediation

Die Mediation wird oft als ein Weicheigelaber beschrieben oder mit Vergleichsverhandlungen gleichgesetzt, die eher eine Schlichtung als eine Mediation darstellen. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Mediation an Fakten und Rechten vorbeigehe. All diese Meinungen belegen, dass sie nicht verstanden haben, worum es in der Mediation genau geht. Die Mediation wendet Recht nicht nur an, sie stellt das rechtliche Ergebnis sogar der selbst gefundenen Lösung gegenüber. Sie bezieht auch Fakten in die Überlegungen ein und klärt, soweit erforderlich, auch streitige Sachverhalte. All das bewältigt die Mediation, aber an der richtigen Stelle. Nämlich dort wo diese Fragen zur Klärung und nicht zum Streit beitragen.

Es ist nicht nur im Interesse der Mediation, sondern im Interesse all derer, die mit Konflikten zu tun, wichtig, dass sie sich mit der Mediation etwas intensiver auseinandersetzen. Für die Mediation in ihrer Tiefe versteht kann sie in jeder Verhandlung und bei jedem Konflikt erfolgreich einsetzen.

Was tun wenn?

Hinweise und Fußnoten
Bitte beachten Sie die Zitier - und Lizenzbestimmungen
Bearbeitungsstand: 2024-03-16 08:46 / Version 227.

Alias: Wesen der Mediation, Mediation ist anders, Mediationsverständnis
Siehe auch: Zukunft gestalten, Anwendbarkeit des Mediationsgesetzes, falsche Mythen, Kognitionsprozess, Wesen der Mediation
Diskussion: Wesen der Mediation. Helfen Sie, die Eigenschaften herauszustellen
Prüfvermerk:

1 Siehe Theorien
2 Siehe Systematik
3 Die wunderschöne Schachspielmetapher äußerte Roland Breinlinger in einem Gespräch mit Trossen am 10.7.2014
4 Siehe Fazit
5 Siehe Watzlawick: "Wenn die Lösung das Problem ist", ein Videovortrag auf Kreativität
6 Siehe Bewusstsein
7 Trossen (un-geregelt), Rdnr 38 ff.
12 Es gibt trotzdem einige Versuche und Projekte bei Wiki to Yes, die dem Mediator eine Orientierungshilfe anbieten. Sie dazu Benchmarks und Mediationsnavigator.
13 So der Ansatz der Integrierten Mediation, die hierfür sowohl ein Konzept und eine Methodik zur Verfügung stellt


Based on work by Arthur Trossen und Bernard Sfez und anonymous contributor . Last edited by Arthur Trossen
Seite zuletzt geändert am Montag Dezember 30, 2024 17:44:47 CET.

Durchschnittliche Lesedauer: 16 Minuten